Die 300jährige Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Irland
Die 300-jährige Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Irland
Vergangenheit
Im Jahr 1689 kamen zwei lutherische Feldprediger nach Irland. Der eine von ihnen, Ever Dietrich Brinck, stammte aus Norwegen. Seine Lieder sind in skandinavischen Gesangbüchern noch heute zu finden. Der zweite war der Deutsche Esdras Marcus Lichtenstein, ein Sohn jüdischer Eltern aus Hamburg. Für ihren Dienst in Irland wurden die beiden wahrscheinlich von Esdras Edzardi, dem Pfarrer der damals einzigen Lutherischen Kirche Englands in London ordiniert. Die erste Lutherische Gemeinde Dublins bildete sich etwa um 1690-91, wahrscheinlich auf Anregung Lichtensteins, der 1697 ihr erster Pfarrer wurde und die Gemeinde bis 1706 leitete. Die Gemeinde versammelte sich zu ihren Gottesdiensten in der Marlborough Street, also ganz in der Nähe der heutigen Pro-Cathedral, wenn nicht gar an derselben Stelle. Vormittags wurde ein deutscher und nachmittags ein Gottesdienst in einer skandinavischen Sprache abgehalten. Die finanzielle Situation der Gemeinde war so prekär, dass Lichtenstein Kollektenreisen nach England, Skandinavien und auf den Kontinent unternehmen musste. Während der letzten dieser Reisen wurde er wegen unsachgemäßer Buchführung gerichtlich angeklagt und bei seiner Rückkehr nach Dublin verhaftet. Eine Geschichte der Stadt Dublin aus dem Jahr 1818 erwähnt die Angelegenheit und führt ein Leumundszeugnis von Lichtensteins Freunden an, die ihren Pastor als einen Mann charakterisieren, der in seinem Umgang mit anderen stets ehrlich und ehrbar gewesen sei. Diese Einschätzung wird dadurch beglaubigt, dass die Gemeinde im ostfriesischen Aurich ihm im Jahr 1706 ihre Pfarrstelle anvertraut.
Der nächste Pfarrer der Gemeinde war der Däne Andreas Kellinghusen. In seiner Amtszeit konnte ein jährlicher Staatszuschuss von 50 Pfund zum Pfarrergehalt gesichert werden, möglicherweise durch die Intervention der dänischen Königin Anna. Mit der offiziellen Unterstützung des lutherischen Pfarrers kam auch die offizielle kirchliche Anerkennung. Pastor Kellinghusen wurde dem für Dublin zuständigen anglikanischen Bischof unterstellt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Gemeindegottesdienste nicht wie in der lutherischen Hofkapelle in London nach der Übersetzung des “Book of Common Prayer” sondern nach der Holsteinischen Agende abgehalten wurden. Weitere Aufschlüsse über die Geschichte der Gemeinde finden sich in einem Briefwechsel, den Pastor Kellinghusen mit der lutherischen Gemeinde in Amsterdam führte. Darin ist von “beschwerlichen Zuständen” in Dublin die Rede. Kellinghusens Bitte um Unterstützung hatte Erfolg, denn die Ältesten der Amsterdammer Gemeinde beschlossen, der Gemeinde in Dublin 75 Gulden zukommen zu lassen. In einem Brief aus dem Jahr 1718 bittet Kellinghusen die Gemeinde in Amsterdamm um eine Kopie ihrer Kirchenordnung, die über die Niederlande hinaus lange Zeit als vorbildlich galt. Es scheint daher, dass diesbezügliche Schwierigkeiten, die aus den Anfangsjahren der Gemeinde berichtet werden, noch nicht der Vergangenheit angehörten.
Der Gemeinde gelang es, ein Grundstück in der Poolbeg Street zu erwerben und den lange gehegten Plan, eine Kirche zu bauen, endlich zu verwirklichen. Das Bauvorhaben aus eigenen Kräften zu verwirklichen, war ihr allerding nicht möglich. Die Liste der Spender, die dieses Vorhaben unterstützten, wird von drei anglikanische Erzbischöfe (von Dublin, Cashel und Tuam) und drei Bischöfe angeführt. Die Stadt Dublin spendete 20 Pfund. Nur ein Viertel der Namen der Spender lässt eine deutsche Herkunft vermuten, die meisten scheinen Engländer und Skandinavier gewesen zu sein. Die Amsterdamer Schwestergemeinde unterstützt die lutherischen Kirche in Dublin erneut: dieses Mal mit einhundert Gulden. Die neue Kirche wurde 1725 eingeweiht. Es ist nicht überliefert, wie lange Kellinghusen sein Amt geführt hat. 1754 war ein Pastor Olaf Mollen Pfarrer der Gemeinde. In der nächsten Erwähnung ist von einer deutschen Gemeinde die Rede. Man darf daher wohl vermuten, dass der skandinavische Anteil der Mitglieder zurückgegangen war. Die bereits erwähnte Geschichte der Stadt Dublin führt an, dass 1818, dem Jahr ihres Erscheinens, ein Pastor Schulze, der die Gemeinde geleitet hatte, noch lebte. Er hatte als Missionar nach Afrika auswandern wollen, aber vor Wexford Schiffbruch erlitten, und da das Pastorat der Lutherischen Gemeinde Dublins gerade vakant war, bewarb er sich stattdessen um diese Pfarrstelle und wurde gewählt. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, nach Brand und Zerstörung, verfiel das Kirchengebäude in der Poolbeg Street, und die Gemeindeglieder wanderten in andere Kirchen ab. Über ein Jahrhundert wird von lutherischen oder deutschen Gottesdiensten in Dublin nichts berichtet. Versuche, von der 1844 in Liverpool gegründeten deutschen evangelischen Kirche aus auch in Dublin evangelische Gottesdienste abzuhalten, führten zu keinem Erfolg.
Erst um 1930 finden wieder regelmäßig deutschsprachige Gottesdienste statt. Sie werden von einem Pastor Tanne abgehalten, der in Dublin seinen Ruhestand verbringt. Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges führt 1939 jedoch zu einem Ende dieses ersten Neuanfangs. Nach dem Krieg lassen sich einige ehemalige deutsche Kriegsgefangene in Irland nieder. In Krankenhäusern und Haushalten finden außerdem einige hundert deutsche Mädchen und Frauen Arbeit. Auch Lutheraner anderer Nationalitäten haben in Irland eine neue Heimat gefunden. Der Lutherische Weltbund wird 1952 auf diese Situation aufmerksam, und 1954 wird auf sein Betreiben Dublin wieder Sitz eines lutherischen Pfarramtes. Der erste Pfarrer der neugegründeten Gemeinde wird Pastor Hans Dietrich Mittorp. Einem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass etwa hundert Jahre, nachdem die Kirche in der Poolbeg Street aufgehört hatte, Zentrum einer lutherischen Gemeinde zu sein, die neuentstandene lutherische Gemeinde mit der St. Finian’s-Kirche in der Adelaide Road, im Herzen Dublins, ein neues Zentrum für ihre Sammlung und Wiederbelebung findet. Die Gemeinde kann das Kirchengebäude für 99 Jahre für einen Schilling im Jahr von der anglikanischen Kirche pachten. Damit ist der Ort für die Gottesdienste der Lutherischen Kirche in Dublin bis zum Jahr 2060 gesichert. Zu Pfingsten 1961 wird die Kirche von dem schwedischen Bischof Lundström eingeweiht. 1960 war in Belfast, ebenfalls dank der Initiative des Lutherischen Weltbundes, eine zweite lutherische Gemeinde in Irland entstanden. Beide Kirchen schließen sich 1962 zur “Lutheran Church in Ireland” zusammen. Pastor Mittorp führt sein Amt von 1955 bis 1967. Ihm folgen von 1967-73 Pastor Hennig Popp, von 1973-77 Pastor Dieter Borck, von 1977-85 Pastor Kurt Prüßmann, von 1985-97 Pastor Paul Gerhard Fritz und von 1997-2006 Pastor Fritz-Gert Mayer, von 2006-2014 Pastoren Corinna und Dr. Joachim Diestelkamp. In der Vakanzeit vom Oktober 2014 bis August 2015 betreuten Pastor Martin Wielepp und Pastor Fritz-Gert Mayer die Gemeinde. Seit September 2015 ist Pastor Stephan Arras für das kirchliche Leben in Irland verantwortlich.
Gegenwart
Das Lebenstempo hat in Irland in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen. Die irische Wirtschaft floriert. Zahlreiche ausländische Firmen haben in Irland investiert und in Dublin befindet sich ein internationales Finanzzentrum. Nachdem über Jahrzehnte jährlich Tausende von Iren auf der Arbeitssuche nach Amerika, Australien, England und in andere Länder ausgewandert sind, ist Irland heute ein Einwanderungsland. Die zweithäufigste Sprache ist nach dem Englischen nicht mehr Gälisch, sondern Polnisch. Irland ist auf dem Weg in eine multikulturelle Gesellschaft. In dieser veränderten Situation fällt der Lutherischen Kirche, wie allen christlichen Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften auch, die wichtige Aufgabe zu, den Menschen Orientierung in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft zu geben, eine geistliche Heimat und Geborgenheit zu bieten. Einer Welt, in der Profit und Erfolg drohen, das Leben ausschließlich zu regieren, predigt die Lutherische Kirche Irlands die Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes und seiner Menschenfreundlichkeit in Jesus Christus.
Die Lutherische Kirche hat ein reges Gemeindeleben. Die Gottesdienste finden sonntags um 11 Uhr statt, am letzten Sonntag im Monat jeweils in englischer Sprache. Die Evangelisch-Lutherische Kirche überlässt ihr Kirchengebäude auch an andere Kirchen, so z.B. die Lettische Lutherische Kirche oder sie Polnische Lutherische Kirche. Die Evangelisch-Lutherischen Kirche lebt eucharistische Gastfreundschaft d.h. zum Abendmahl sind alle Christen eingeladen. Regelmäßig besuchen katholische Christen die Gottesdienste in St. Finian’s.
Die Gemeinde besteht aus unterschiedlichen Mitgliedern. Zum einen aus Deutschen, die in den 1950er, 60er oder 70er Jahren aus Deutschland ausgewandert sind. Viele Mitglieder sind mit Partnern aus Irland verheiratet. Einige Mitglieder sind bei deutschen Firmen oder Banken in Dublin angestellt. Gerade diese Gruppe unterliegt einem ständigen Kommen und Gehen. Auch Studenten, Au Pairs, oder nur kurzfristig in Irland arbeitende Menschen besuchen die Gottesdienste der Evangelisch-Lutherischen Kirche.
Zu den sich regelmäßig treffenden Gruppen der Gemeinde gehören eine Mutter-Kind- Gruppe, eine Pfadfindergruppe aus Jungen und Mädchen, eine Frauengruppe sowie ein Taizé-Gebetskreis.
Die Pfarrer der Gemeinde betreuen außer den Gottesdiensten in St. Finian’s noch weitere Predigstätten der Evangelisch-Lutherischen Kirche auf der grünen Insel. In Belfast, Galway, Limerick, Co. Kerry, Mullingar, Sligo und Wexford finden etwa dreimal jährlich (in Belfast monatlich) ebenfalls Gottesdienste in deutscher Sprache statt.
Die Evangelisch-Lutherischen Kirche in Irlands pflegt sehr gute ökumenischen Kontakte. Sie ist eine kleine, aber beachtete und geachtete Kirche. Dies kommt bei Neujahrsempfängen, Festgottesdiensten oder bei anderen besonderen Veranstaltungen zum Ausdruck. In den letzten Jahren durfte die Kirche einige prominente Gäste begrüßen: Der frühere Präsident der VELKD, Bischof Knuth aus Schleswig, Margot Käßmann als Botschafterin des Reformationsjubiläums aus Hannover sowie Kardinal Walter Kasper aus Rom haben unsere Gemeinde besucht.
Regelmäßig finden kulturelle Angebote im Lutherhaus bzw. in St. Finian’s statt.
Zukunft
Auch die “Insel der Heiligen und Gelehrten”, wie man Irland genannt hat, ist heute eine zunehmend säkulare Gesellschaft. Durch die zahlreichen Wirtschaftsimmigranten aus Polen, den baltischen Republiken, aus Rumänien und vielen anderen Ländern hat sich Irland zudem in nur wenigen Jahren von einem der ärmeren zu einem der wohlhabendsten Länder Europas entwickelt. Es gibt deutlich weniger arme Menschen als vor 20 Jahren, aber der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist größer geworden.
Wie schon zu Beginn ihrer Geschichte ist das Thema Finanzen auch heute wieder ein Sorgenthema der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Die größte Herausforderung für die Evangelisch-Lutherische Kirche besteht gegenwärtig zweifellos darin, in absehbarer Zeit finanziell unabhängig werden zu müssen. In den nächsten Jahren wird die EKD aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland und der entsprechend schwindenden Einnahmen ihre Unterstützung stark reduzieren müssen.
In den Gottesdiensten, Festen und weiteren Veranstaltungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Irland haben viele Menschen immer wieder Trost, Ermutigung, Zuspruch, Hoffnung und Freude gefunden. Wenn zusätzliche Familien sich bereit finden, der Lutherischen Kirche die notwendige finanzielle Unterstützung zu geben, und dauerhafte Sponsoren gefunden werden können, wird die Evangelisch-Lutherische Kirche in Irland auf soliden finanziellen Füßen stehen können.
Wenn Sie einmal, oder wieder einmal, in Dublin sind, kommen Sie uns doch besuchen. Einer herzlichen Begrüßung können Sie sich sicher sein: Gäste und neue Gesichter sind in St. Finian’s stets willkommen! So mancher hat hier in der Fremde eine neue geistliche Heimat gefunden und freut sich über die Möglichkeit im Ausland nicht nur in der Landessprache, sondern in der Muttersprache sprechen, singen, beten, sich austauschen zu können. Viele sagen, in St. Finian’s findet die Seele ein Zuhause.
(Als Quelle für die Informationen des Abschnitts zur Geschichte der Lutherischen Kirche in Irland diente die anläßlich des 300jährigen Bestehens von Monika McCurdy und Alan Murphy herausgegebene Festschrift “Evangelisch Lutherische Kirche in Irland: 1697 – 1997”.)
© Lutheran Church in Ireland